Die sichere Versorgung einer wachsenden Weltbevölkerung mit gesunden Lebensmitteln, die gleichzeitige Erschließung weiterer erneuerbarer und recycelbarer Rohstoffquellen zur stofflichen und energetischen Nutzung und der notwendige Schutz der Primärressourcen Wasser, Luft und Boden sowie der Biodiversität erfordern innovative Ansätze, die die Gesamtprozesse betrachten.
Angesichts dieser Herausforderungen ist ein ökonomisches Denken und Handeln gefordert, welches eine regenerative Ausrichtung fördert und eine zirkuläre Wirtschaft nach dem Vorbild der Natur ermöglicht. Die wissensbasierte Bioökonomie bietet Lösungsansätze für diese Herausforderungen und kann gleichzeitig die internationale Wettbewerbsfähigkeit Baden-Württembergs als Wirtschaftsstandort stärken.
Innovationen entlang der Lebensmittel-Wertschöpfungskette
Die zukunftsorientierte Bereitstellung von Lebensmitteln ist ein Innovationsfeld einer nachhaltigen Bioökonomie. Ressourcenschonende Produktionssysteme, die intelligente Vernetzung von Stoffströmen und Verarbeitern entlang der Wertschöpfungsketten sowie innovative Verarbeitungsprozesse helfen dabei, gesunde Produkte verbrauchergerecht und nachhaltig zu erzeugen. Beispiele hierfür sind alternative Proteinquellen für die Ernährung von Mensch und Tier oder funktionale Inhaltstoffe für Lebensmittel (Ballaststoffe, Farbstoffe, Aromen etc.), die aus Neben - und Koppelströmen der Lebensmittelproduktion gewonnen werden können. Durch intelligentes Stoffstrom- und Ressourcenmanagement und funktionale Verpackungssysteme können Verluste entlang der Lebensmittel-Wertschöpfungskette verringert werden. Dabei gilt es in erster Linie die Verluste zu vermeiden, in zweiter Linie Reststoffe- und Nebenströme in einer Form zu gewinnen, die eine effiziente und sichere Weiterverwertung als Rohstoff ermöglicht. Intelligente Ansätze aus dem Bereich Landwirtschaft 4.0 ermöglichen einen effizienten und umweltschonenden Ressourceneinsatz und eine effiziente, bedarfsgerechte Nährstoffrückführung.
Syntheseleistung der Natur stofflich nutzen
Die Nutzung von biologischen Ressourcen der Natur ist aus dem Leben der Menschen nicht wegzudenken. Biobasierte Stoffe und Materialien sind in vielen Alltagsprodukten enthalten. Dabei kann biobasiert bedeuten, dass nachwachsende Rohstoffe und Reststoffe aus der Land- und Forstwirtschaft oder Bioabfall genutzt werden. Moderne Extraktions- und Konversionsverfahren ermöglichen es, daraus eine Vielfalt von Produkten zu gewinnen.
Auch die vielfältigen Syntheseleistungen von Mikroorganismen können genutzt werden, um wertvolle Rohstoffe herzustellen, umzuwandeln oder zurückzugewinnen. Dabei können ganze Mikroorganismen zum Einsatz kommen oder daraus isolierte Enzyme als Biokatalysatoren.
Biobasierte oder biotechnologische Produkte substituieren dabei nicht bloß ihre fossilen Pendants, sondern sie weisen oft einen funktionalen Mehrwert oder Vorteile in der umweltschonenden Produktion auf. Die Nutzung von biobasierten Rohstoffen und biologischem Wissen eröffnet damit die Chance zur Entwicklung einer „grünen“ Chemie.
Aus Koppelprodukten und Reststoffen der traditionellen Verarbeitung sowie Abfällen aus Industrie und Kommunen können beispielsweise Chemikalien, Fasern, Pigmente und Kunststoffe hergestellt werden. Diese Materialien und Produkte sind hinsichtlich ihrer Eigenschaften entweder identisch mit ihren fossilbasierten Konterparts oder besitzen neue Eigenschaften, die mit fossilen Rohstoffen oder herkömmlichen Produktionsmethoden nicht oder nur mit deutlich mehr Aufwand hergestellt werden können.
Energetische Nutzung von Biomasse
Bioenergie aus nachhaltig erzeugter und genutzter Biomasse sowie Bioabfällen und Abwässern ist ein wichtiger Baustein für die Energiewende. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie flexibel und bedarfsgerecht Wärme, Strom und Kraftstoffe mit hoher Energiedichte bereitstellen kann. Dabei bleibt zu berücksichtigen, dass Biomasse ein knappes und von vielen Seiten nachgefragtes Gut ist. Im Kontext einer nachhaltigen Bioökonomie steht die Ernährungssicherung einer wachsenden Weltbevölkerung an erster Stelle.
Nachhaltige Bioökonomie zielt drauf ab, vorrangig Nebenprodukte und Reststoffe aus der Erzeugung und Verarbeitung von Biomasse und Bioabfälle, die jeweils weder für Ernährungszwecke noch für eine stoffliche Nutzung geeignet sind oder benötigt werden, energetisch zu nutzen. Die energetische Nutzung von Biomasse soll zukünftig am Ende einer möglichst langen und mehrfachen stofflichen Nutzung, einer sogenannten Kaskadennutzung, stehen.
Bioraffinerien
In Bioraffinerien werden Rohstoffe durch die Verknüpfung unterschiedlicher Technologien möglichst vollständig in Wertstoffe umgewandelt. Als Rohstoffe kommen in Bioraffinerien insbesondere land- und forstwirtschaftliche Biomasse, Abwasser und Abfälle, aber auch Abluft (zum Beispiel CO2-haltig) in Frage. Durch die Anwendung und Verknüpfung unterschiedlicher Technologien und Prozesse sollen alle Stoffströme einer sinnvollen Nutzung zugeführt oder rezykliert werden. Ziel ist es ressourceneffiziente Prozesse ohne Abfall zu etablieren, und Produkte zu entwickeln, die vermarktet werden können und wirtschaftlich sind. Am Ende der Wertschöpfungskaskade werden lediglich nicht anderweitig verwertbare Reststoffe zur Energiegewinnung genutzt.
Eine solche Diversifizierung der Biomassenutzung findet beispielsweise in der Papier- oder der Zuckerindustrie bereits statt. So wird mittlerweile auch eine Vielzahl an Vorprodukten für die chemische Industrie und weitere Anwendungen hergestellt. Bei der Abwasseraufbereitung können Phosphor, Stickstoff und Energie gewonnen werden. Ein weiteres Beispiel ist die Anwendung von Insekten im Bereich der Chitin-, Fett- und Proteinproduktion für die chemische Industrie.
An vielfältigen weiteren Konzepten wird geforscht und entwickelt. Für den Aufbau von dezentralen modularen „Biofabriken“ eignen sich beispielsweise Biogasanlagen mit ihren Infrastrukturen. Diese könnten durch die Gewinnung und Vermarktung von hochwertigen Inhaltsstoffen (zum Beispiel Fasern, Proteine, Kohlenhydrate, Fette, Öle, Nährstoffe) der eingesetzten Substrate ein zusätzliches Einkommen generieren. Weitere Anwendungen von Bioraffinerien finden sich im Bereich des CO2-Recyclings zur Gewinnung von Grundchemikalien aus Abgasen. Ebenso kann Bioabfall zur Gewinnung von organischen Komponenten und Säuren genutzt werden.
Ressourceneffizienz
Die besten Beispiele der Ressourcen- und Energieeffizienz gibt es in der Natur. Die Evolution hat biologische Prozesse hinsichtlich ihres Ressourcen- und Energieeinsatzes weitgehend optimiert. Aufgrund der Anpassung an ihre natürlichen Lebensräume arbeiten die meisten Mikroorganismen und Enzyme unter Normalbedingungen. Somit sind biotechnologische Prozesse im Vergleich zu chemischen Synthesen, die oft bei hoher Temperatur und Druck ablaufen, energieeffizienter. Auch das Prinzip der Schließung von Stoffkreisläufen ist in der Natur allgegenwärtig. Jeder Reststoff dient wiederum als Ressource oder Nahrung in einem weiteren Kreislauf.
Die nachhaltige Bioökonomie kann ihrerseits ebenfalls Vorbilder und Beiträge zur Steigerung der Ressourceneffizienz in der Wirtschaft und Unternehmen bieten.
Auch zu einer nachhaltigen Versorgung mit nicht biobasierten Rohstoffen kann die Bioökonomie beitragen. Im Fokus stehen dabei zum Beispiel Metalle inklusive der seltenen Erden, auf deren gesicherte und umweltgerechte Versorgung Baden-Württemberg mit seinem starken Industriesektor und einem Wirtschaftsschwerpunkt im Bereich des Anlagenbaus angewiesen ist.
Vor dem Hintergrund geringer natürlicher Ressourcenvorkommen im Bereich der Technologie-Rohstoffe und einer damit einhergehenden hohen Importabhängigkeit kommt der Erschließung von weiteren Rohstoffquellen, insbesondere sekundären im urbanen und industriellen Raum (z.B. Schlacken und Elektroschrott), mit biologischen Verfahren (z.B. Biomining) eine hohe Bedeutung für resiliente Lieferketten zu.
Aber auch zur langfristigen Sicherung der Versorgung mit stickstoff- und phosphorhaltigen Nährstoffen kann die kreislauforientierte Bioökonomie durch das konsequente Schließen von Stoffkreisläufen beitragen.
Auch bionische Innovationen, also die Umsetzung von optimierten natürlichen Phänomenen in technische Lösungen, können zu einer verbesserten Ressourceneffizienz beitragen. So können beispielsweise Ventilatoren unter Nutzung des Vorbildes eines Eulenflügels hergestellt werden, sie zeichnen sich durch eine besonders leise Betriebsweise aus. Weitere Beispiele für biologisch optimierte Prozesse, welche in der Industrie- und im Anlagenbau Anwendung finden können, sind der Lotuseffekt und strömungswiderstandsarme Oberflächen nach dem Vorbild einer Haifischhaut.
Der Einsatz und die weitere Verbreitung dieser innovativen Technologien kann den Wandel hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft im Land unterstützen.